Die postdramatische Theatersprache der Elfriede Jelinek

                                    Itaru TERAO

In meinen Ausführungen über Elfriede Jelinek möchte ich zuerst auf einen sehr berühmten Monolog eingehen, der aber nicht von Jelinek ist, sondern von dem klassischen Dichter Johann Wolfgang von Goethe. Es ist die Szene im Studierzimmer im erster Teil des gFausth. Dort bemüht sich der Protagonist Faust um die Übersetzung eines griechischen Worts ins Deutsche. Für das griechische gLogosh  hat er am Anfang das deutsche Wort gWorth gewählt , aber gleich darauf hat er es zum gSinnh verändert, dann zu gKrafth, und letztlich war er mit dem Wort gTath zufrieden.

 

Mein Vergleich von Goethe und Jelinek, einem schon von alters her als Großdichter der deutschen Literatur musterhaften, aber vielleicht im obersten Regal verstaubten Klassiker und einer österreichischen, zeitgenössischen, und besonders in ihrem eigenen Land als Nestbeschmutzerin am meisten verachteten experimentellen Radikalfeministin, mag den heutigen Menschen vielleicht etwas komisch oder naiv erscheinen. 

 

Aber jene Reihenfolge der Bemühungen, die von Goethe seinen Protagonisten durchlaufen lässt, zur richtigen Übersetzung zu gelangen, die Entwicklung hin zur Bedeutungsvertiefung vom gWorth über gSinnh und gKrafth schliesslich zur gTath, zeigt uns zum einen das entfaltende, immer tiefer denkende und die literarische Entwicklung suchende Schreib-Ethos von Goethe. Zum anderen kann man gleichzeitig auch die Problematik der Sprache nicht nur in der klassischen Literatur, sondern auch in der heutigen Theatersprache sehr klar und deutlich erkennen.

 

Bei gFausth, diesem früher nur als Lesedrama verstandenen und erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf die Bühne getretenen klassischen literarischen deutschen Theaterstück, handelt es sich eigentlich um das bekannte Beziehungsproblem zwischen Literatursprache und Theatersprache. Dieses Problem kann man auch bei der Inszenierung der Texte von Elfriede Jelinek sehen. Jelineks zu lange, oft umständliche und unendlich kalauerhafte Redetexte sind, oberflächlich betrachtet, eigentlich so unspielbar wie zu damaliger Zeit gFausth. Hinzu kommt allerdings , dass sich bei Jelineks Texten, im Gegensatz zu gFausth, keine Handlung, keine konkrete Situation und keine verständliche Perspektive finden läßt.

 

In der berühmten Szene im Studierzimmer findet Faust für ein einziges griechisches Wort bereits vier Bedeutungs – bzw.Interpretationsmöglichkeiten in der deutschen Sprache. Diese Pluralität der Bedeutungsmöglichkeiten benutzt Jelinek immer wieder für ihre Wortspiele. So gibt es in ihrem neunten Theaterstück gStecken, Stab und Stanglh zu Beginn folgende Sätze: g Achtung, EU, die Österreichen kommen! Achtung, EU, die Österreichsten kommen!h Die Bedeutung gÖsterreichenh oder gÖsterreichstenh kann man zwar nicht genau bestimmen, aber eine satirische Kritik an der Gemütlichkeit der Österreicher oder dem Reichtum der österreichischen Menschen wird eindeutig sichtbar.    

 

Jelineks frühere bis in die achtziger Jahre geschriebenen vier Theaterstücke (Nora 1979, Clara.S 1982, Burgtheater 1985,  Krankheit 1987)  kann man thematisch als gradikal-feministischh bezeichnen.  Aber seit Ende der achtiger Jahre, vor allem nach gWolken Heimh (88) hat Jelinek ihr Schreiben nicht nur thematisch, sondern auch theaterästhetisch erweitert. In den neunziger Jahren hat sie bewusst angefangen, die Methode der monologhaften Textcollagen als Methode sowohl quantitativ als auch qualitativ zu nutzen.

 

Besonders hevorzuheben ist in diesem Zusammenhang Jelineks sechstes Theaterstück gTotenaubergh, welches im Jahre 1992 uraufgeführt wurde. Anhand dieses Stückes wird in mindestens drei Punkten eine Zäsur ihrer Theateraktivität deutlich. Erstens :Hinsichtlich der Erweiterung und Vertiefung der Themen - von der früheren feministisch kritisierten Männer-Herrschaft zu politisch und geschichtlich betrachteten Gesellschaftsproblemen in der Gegenwart.[1] Zweitens: Hinsichtlich der theaterästhetischen Weiterentwicklung der Textcollagenmethode von gWolken Heimh zu einer polyphonisierten „Intertextualitätg vieler ineinander verschlungener Texte. Und drittens; Hinsichtlich der uraufgeführte Inszenierung am Burgtheater (genauer gesagt im Akademietheater) in Wien unter der Generalleitung von Claus Peymann, der das Repertoire des Burgtheaters für zeitgenösische Stücke weit geöffnet hat.[2]

 

Dem Stück gTotenaubergh liegt eine Collage von Texten von Martin Heidegger und Hanna Arendt zugrunde. Jelinek kritisiert mit sentimentalen Wörtern wie gNaturh, gFamilieh, gHeimathusw., die nationalsozialistische Vergangenheit und auch die von ökonomischen und touristischen Interessen beherrschten, eintönig gefärbten faschistoiden Züge im gegenwärtigen Österreich.

 

Theaterästhetisch wichtig ist aber die Tatsache, dass Jelinek die frühere Liebesbeziehung zwischen dem berühmten, aber wegen seines nationalsozialisistischen Verhaltens heftig kritisierten Philosophen Heidegger und auch als Nazi–Kritikerin berühmten Arendt zwar thematisiert, aber weder persönlich noch melodramatisch benutzt.

 

Der alte Mann ( der Schauspieler heißt auch Martin: Martin Schwab ) hat auf der Uraufführungsbühne im Akademietheater seinen langen Text sehr musikalisch und stark skandierend gesprochen. gDie Natuuur ruuuut.h [3] Er schien mir durch seine eigene musikalisch anmutende Sprache entzückt und verzaubert zu sein.

 

Ich glaube, Jelinek hat irgendwann die ästhetische Energie der gIntertextualitäth ihrer Prosa für ihre Theateraktivität von neuem wieder entdeckt. Durch den Körper des Schauspielers und durch die körperliche Tonalität der Stimme des Schauspielers kann Jelinek ihre verschiedenartig zitierten einzelnen Texte in „eineng Jelinekhaften Sprachfluss einmünden lassen. Ihre „Intertextualitäth kommt nicht nur in der Prosa, sondern auch auf der Bühne sehr gut zum Ausdruck. [4] Jelineks „Monologg ist, genauer betrachtet, kein echter Monolog, sondern ein monologisierter Sprachfluss, in welchem viele zitierte Stimmen miteinander verschlungen und ineinander vermischt werden. Jede Stimme tritt einmal an die Oberfläche, versinkt aber gleich wieder in die Tiefe und tritt später plötzlich wieder herauf. Jelineks „Monologg entsteht zwischen dem echten Mono-log und dem Poly-log der „Intertextualitätg. [5]

 

Jelinek hat schon im Jahr 1983 über ihres drittes Theaterstück gBurgtheaterh gegen das traditionelle Theater Folgendes geschrieben. g Ich will nicht spielen und auch nicht anderen dabei zuschauenc. Leute sollen nicht etwas sagen und so tun, als ob sie lebtencIch will kein Theater.h[6] Jelineks Figuren repräsentieren also gar nicht den persönlichen Körper des Menschen, sondern Sprach-Körper oder Körper als Sprachmaschine.

 

Meine Figuren treten nicht psychologisch differenziert miteinander in Kontakt, sie sind nicht als glebendeh Menschen gedacht, sondern treten als überdimensionale Sprachmaschinen auf. Sie sprechen immer, und sie sprechen immer alles aus. Sie brüllen ständig Wahrheiten aus sich heraus, die eine psychologisch richtig gestaltete Figur niemals so äußern würde.[7]   

 

Die künstlerische Produktivität der Jelinek insbesondere seit den neunziger Jahren ist sehr erstaunlich. Nach gTotenaubergh(92) hat sie noch weitere Theaterstücke geschrieben; gRaststätteh(94), gStecken, Stab und Stanglh(96), gEin Sportstück(98), ger nicht als erh(98), gDas Lebewohlh(2000), gErlkönigin, Der Tod und das Mädchen, Der Wandererh(2001), gIn den Alpenh(2002), gDas Werkh(2003) und gBambilandh(2003).

In diesen Texten beschimpft Jelinek bevorzugt die konservativen, katholischen, antiintellektuellen und faschistoiden Stimmungen in Österreich. Alle ihre Texte sind undramatisch. Vielmehr sind sie einzelne voneinander unabhängige Texte, die allerdings Collagen, aber kein naïves gCopy & Pasteh darstellen, sondern kompriziert verschlungene Text-Körper. Sie bieten keine Perspektive für die geschlossene, einheitlich zu verstehende traditionelle Bühnenwelt.

 

Deshalb ist bei der Aufführung von Jelineks Texten eine gute Inszenierung immer ausschlaggebend. [8] Ihre Texte fordern nicht nur die konservativen Politiker, sondern auch die Regisseure heraus.

Bei gTotenaubergh hat Manfred Karge zwei Ebenen geschaffen, die auf der Bühne aufeinander treffen. Eine Ebene ist gekennzeichnet durch Bewegung, denn der Regisseur benutzt zehn Schauspielerinnen und Schauspieler einerseits wie moderne Tänzer, anderseits wie Akrobaten. Dem gegenüber steht die sprachliche Ebene, die durch eine  musikalisch anmutend gesprochene Natur-Hymne zum Ausdruck kommt. Die besondere theatralische Wirkung entsteht dadurch, dass beide Ebenen von einer unnatürlichen und ungeheuerlichen Atmosphäre umhüllt werden.

Beim gSportstückh hat Einar Schleef einen dreißig Personen-Chor auf die Bühne treten lassen und den Zusammenhang zwischen Sprache und Musik oder zwischen Sprache und Körper auf eine neue Art und Weise problematisiert.

Bei gStecken, Stab und Stanglh hat George Tabori ein Flügelklavier auf der Hinterbühne wie heftig schlagend spielen lassen und auf der Vorbühne einen angstvollen Totentanz gezeigt.

Bei gBambilandh hat Christoph Schlingensief in einem normalerweise sehr anständigen und etwas konservativen Burgtheater einen echten Pornofilm groß projizieren lassen und dadurch Jelineks Texte vollkommen dekonstruiert.

 

Wie uns diese neuen guten Inszenierungen gezeigt haben, kann die gSpracheh auf der Bühne nicht nur in ihrer logischen oder psychologischen Begrifflichkeit verstanden werden, sondern auch als gKörperlichkeith durch den Körper der Schauspieler und durch die Tonalität der Stimmen im Bühnenraum.[9] Die gemeinsame Anwesenheit von all dem im Theater geht weit über die logischen Möglichkeiten der Sprache hinaus. Die Sprache oder der die Sprache beherrschende Mensch soll sich nicht logozentrisch unterdrücken lassen, sondern bewußt mit anderen theatralischen Mitteln über die Grenze der textuellen Bedeutungszusammenhänge hinaustreten. Jelineks Texte zeichnen sich sowohl durch eine künstlerische als auch künstliche Sprache aus.[10] Durch sie und durch außersprachliche Mittel ist es Jelinek möglich, immer wieder neue Theatertexte zu schreiben. Jelineks unpsychologische, sprachmaschinenhafte Theatertexte zeigen uns geineh Möglichkeit für das Undramatische oder das Postdramatische.

 

Zum Schluß ist es nur noch auf eine einzige Tatsache hinzuweisen. In der letzten Theatersaison (2003/2004) wurde gFausth, früher das unspielbare Lesedrama, in 22 Inszenierungen 307mal aufgeführt. In den deutschsprachigen Ländern ist gFausth das am dritthäufigsten aufgeführte Theaterstück. ( Apropos: Die beide noch öfter aufgeführten Stücke sind gNorway, todayh von Igor Bauersima und gSommernachtstraumh von Shakespeare.) Mit Fausts Übersetzung des griechischen gLogosh nicht mehr als gWorth, sondern als gTath wurde eine Bedeutungserweiterung geschaffen, die einen Grundstein für ein neues Theater im deutschsprachigen Raum gelegt hat. Wie einst gTath aus gWorth geworden ist, so wird sicher das neue deutschsprachige Theater sehr stark beeinflußt durch die zwischen Mono-Logos und Poly-Logos entstehenden Theatertexte von Elfriede Jelinek. 

 



[1] Vgl. Das Gespräch:Elfriede Jelinek. g Ja, das Libidinöse ist hier(Totenauberg) übertragen auf etwas Abstraktes.h In:Theater heute. Nr.9. 1992. S.7.

 

[2] Vgl. Rolf Michaelis. gWien feiert, endlich, die Heimkehr einer der bedeutendsten Dichterinnen des Landes.h In: Die Zeit. Nr.40. 25. 9. 1992.

[3] Ebd. gvom t- über ein langes -u- zum -r, und in der gegenläufigen Lautbewegung zurück, jetzt vom r- über viel -u- zum -t.h

[4] Vgl. Das Gespräch. gWo Sprache und Figuren, ähnlich wie schon beim antiken Theater, diese Übergröße in der Präsenz bekommen können, die sie im Film nicht haben.h S.2.

[5] Vgl. Hans-Thies Lehmann. Das postdramatisches Theater. gNeben Collage und Montage erweist sich das Prinzip der Polyglossie im postdramatischen Theater als gegenwärtig.h Frankfurt am Main. 1999. S.268.

[6] Elfriede Jelinek. Ich möchte seicht sein. In: Theater 1983. Jahrbuch der Zeitschrift theater heute. S.102.

[7] Wolfgang Reiter. Wiener Theatergespräche. Wien, 1993. S.22.

[8] Und natürlich gute Schauspieler. Vgl. Elfriede Jelinek im Gespräche mit Kathrin Tiedemann. gWenn das ein Schauspieler spricht, der damit nichts anfangen kann, dann gehen die Texte kaputt.h Das Deutsche scheut das Triviale. In: Theater der Zeit. Nr.6. 1994. S.35.

[9] Ebd. Das Gespräch:Elfriede Jelinek. gDer Sprache wohnt hier eine höhere Wahrheit inne als der Person.h S.4.

[10] Ebd. gFür mich bestehen die Figuren nur als Sprache, und so lange sie sprechen, sind sie da, und wenn sie nicht sprechen, sind sie verschwunden.h S.4.